2003
November 2003
The Way of Buddha. Kurzer Bericht über eine Tagung in Kyoto
(Bericht von Peter Zieme)
"The Way of Buddha" - Unter diesem Motto stand eine internationale Tagung, die von der Ryūkoku-Universität vom 8. bis 13. September 2003 in Kyoto veranstaltet wurde. Auf Einladung des Veranstalters (Prof. K. Kudara) konnten sowohl zwei Vertreter unseres AV (W. Sundermann, P. Zieme) als auch zwei Vertreterinnen des Katalogisierungsvorhabens der AdW zu Göttingen (S. Raschmann, Chr. Reck) teilnehmen. Ähnlich der in Berlin 2002 abgehaltenen Tagung war auch die japanische Konferenz von dem Gedanken geleitet, nicht nur der einhundertsten Wiederkehr des Beginns der Zentralasienexpeditionen zu gedenken, sondern zugleich eine Brücke zu schlagen zu neuen Entdeckungen, Forschungen und Wissenschaftszweigen, die alle noch immer im Banne der Vielsprachigkeit des alten Zentralasien stehen. Wie die BBAW die Turfansammlung beherbergt, so verwaltet die Ryūkoku-Universität den größten Teil der von den Otani-Expeditionen nach Japan gebrachten Textfragmente. Die Saiiki (Westlande)-Forschungsgruppe der Ryūkoku-Universität gehört in Japan zu den führenden Einrichtungen, deren Schwerpunkt auf der Edition und Katalogisierung der alten zentralasiatischen Texte liegt.
Eingeleitet wurde die Konferenz mit Ansprachen zum Gedenken an K. Otani, den ehemaligen Abt des Nishihongan-Tempels, der die Initiative zur 1902 begonnenen Westlande-Erforschung startete und zusammen mit Z. Tachibana und anderen in mehreren Kampagnen bis 1914 in die Tat umsetzte, sowie mit einer religiösen Zeremonie, in deren Mittelpunkt die Rezitation des Großen Sukhāvatīvyūhasūtra (eines der drei Grundtexte der Jōdoshinshū-Schule des Buddhismus, als deren Hauptsitz der Nishihongan-Tempel gilt) stand. Einen Höhepunkt des ersten Konferenztages bildete die Enthüllung der in Keramik gefertigten Nachbildungen zweier monumentaler Pranidhi-Bilder aus Bäzäklik, die durch die Zerstörung des Berliner Museums für Völkerkunde im 2. Weltkrieg verlorengegangen waren.
Ohne hier auf die Vielzahl der angebotenen wissenschaftlichen Vorträge an den folgenden Tagen einzugehen, sei wenigstens erwähnt, daß neben der buddhistischen Textüberlieferung auch kunstwissenschaftliche und archäologische Probleme erörtert wurden, neben Berichten über neue Funde und Fundorte gab es auch Beiträge zu anderen Bereichen wie Wirtschaft, zu anderen Religionen wie zum Manichäismus. Es war ein sehr reichhaltiges Programm, geprägt von Philologie, Philosophie, Religions- und Kunstgeschichte etc., das aber am letzten Konferenztag ergänzt wurde mit einem Einblick in die naturwissenschaftlich geprägten Arbeitsfelder wie Papierbestimmung oder Funddatierung, Konservierung der Funde, Digitalisierung und Datenbanken im Internet. Der Ausflug in eine traditionelle Papiermühle im Anschluß an die Tagung gewährte einen kleinen Einblick in eine der größten Errungenschaften der Menschheit.
Ausgehend von den eigenen Forschungsvorhaben haben S. Raschmann (Goldglanz-Sūtra) und Chr. Reck (Katalog der sogdischen Texte) über Themen aus der Katalogisierungsarbeit gesprochen. W. Sundermann berichtete über den Stand der Edition der sogdischen Übersetzung des Mahāparinirvānasūtra, die er zusammen mit K. Kudara erarbeitet, und P. Zieme über eine neue buddhistische uigurische Handschrift. Im Eröffnungsvortrag umriß P. Zieme die Geschichte und Gegenwart der wissenschaftlichen Zusammenarbeit deutscher Forscher mit japanischen Kollegen, insbesondere mit denjenigen der Ryūkoku-Universität.
K. Kudara und sein Team haben mit einem außerordentlichen Einsatz eine Konferenz vorbereitet und durchgeführt, die von allen Teilnehmern, aber insbesondere von uns, den ausländischen, als wohlgelungen empfunden wurde. Die Ergebnisse sollen in naher Zukunft auch in schriftlicher Fassung vorgelegt werden.
Ein besonderes Wort des Dankes sei an Herrn Prof. K. Kudara gerichtet, der nicht nur die Idee zu dieser Konferenz hatte, sondern der auch, obwohl er ans Krankenbett gebunden war, alle notwendigen Schritte der Vorbereitung unternommen hatte, aber über den Dank hinaus möge es auch ein Wort des Grußes sein, das ihn im Namen aller Konferenzteilnehmer auf seinem weiteren Wege nach der schweren Krankheit begleiten möge.
Asien-Pazifik-Wochen
(Bericht von Jens Wilkens)
Auch in diesem Jahr hat sich das Vorhaben Turfanforschung wieder mit der Ausrichtung eines Vortrags aktiv an den Asien-Pazifik-Wochen beteiligt. Da dieses Mal Indien von den Veranstaltern als Schwerpunktthema gewählt wurde, hat man sich mit Erfolg darum bemüht, eine indische Wissenschaftlerin als Referentin zu gewinnen. Frau Dr. Shashibala (Visiting Prof. am National Museum Institute und Research Prof. an der International Academy of Indian Culture, New Delhi) hat am 18. 09. über "Bodhisattvas in Buddhist Art and Thought" gesprochen und einen kenntnisreichen Überblick über die Entwicklung des Bodhisattva-Gedankens (Sanskrit Bodhisattva: wtl. "Erleuchtungswesen", scil. ein kommender Buddha) und über die Ikonographie der wichtigsten Bodhisattvas gegeben.
Das Verständnis des Bodhisattva-Konzeptes ermöglicht einen unmittelbaren Zugang zur Gedankenwelt des sog. "Großen Fahrzeugs" (Mahayana), welches heute besonders in Japan und Korea verbreitet ist. Bodhisattvas sind einerseits im Hinblick auf die buddhistischen Tugenden Vorbilder für die Gläubigen, denen es auf dem Pfad der geistigen Vervollkommnung nachzueifern gilt, andererseits fungieren sie als Heilsmittler und Nothelfer im Kontext der Kontingenzbewältigung. Einem ihrer gegenwärtigen Forschungsschwerpunkte entsprechend hat die Referentin insbesondere die Position und Bedeutung einzelner Figuren in den komplexen Systemen bestimmter Mandalas (Meditationsdiagramme) erläutert und die bildlichen Darstellungen mit ihren jeweiligen Textvorlagen in Beziehung gesetzt. Kunstgeschichtliche Erklärungen konnten somit stets durch entsprechende Textvergleiche verifiziert werden. In der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde unter anderem über die Bedeutung der Bodhisattvas für den Einzelnen in verschiedenen Lebenssituationen und über die Möglichkeit diskutiert, sich je nach Bedarf auch an verschiedene Nothelfer wenden zu können.
"Die Erzählung von den Schlangen Trageschwer und Trageleicht" aus einem manichäischen Parabelbuch
Das größte in der Berliner Sammlung der iranischen Turfantexte erhaltene Buchrollenfragment ist ein Stück aus einem manichäischen Parabelbuch. Es gehörte früher zum chinesischen Teil der Sammlung unter der Signatur Ch 5554. Heute trägt es die Signatur Ch/So 20182 (= T II D 2). Zu dieser Rolle gehören noch 7 weitere Bruchstücke, wovon eines sich in der unserer Sammlung vergleichbaren Kollektion der Funde der Expeditionen des Grafen Ōtani an der Ryūkoku-University in Kyōto, Japan, befindet. Die Bruchstücke tragen auf ihrer ursprünglichen Vorderseite einen chinesischen buddhistischen Text (48. Kapitel des Buddhāvataṃsakasūtra). Da dieser Text im chinesischen Kanon, dem Taishō Tripitaka, als Nr. 278 vollständig bekannt ist, kann die ursprüngliche Stellung der Bruchstücke in der Rolle rekonstruiert werden. Es fehlen zwischen den einzelnen Fragmenten mehrere Zeilen. Bisher konnte eine Länge der Rolle von ca. 4,35 m nachgewiesen werden. Das Bruchstück Ch/So 20182 ist 3,70 m lang.
Auf der chinesischen Seite des Buches ist in dem Kolophon, dem üblichen Kommentar des Schreibers, der Titel genannt: Āzandnāme "Parabelbuch". Drei dieser Parabeln sind uns in dem Buchrollenfragment erhalten geblieben. Der Inhalt der ersten ist aufgrund des defektiven Charakters und fehlender Paralleltexte schwer zu erfassen. Leider ist auch im Explicit "Vollendet ist die Erzählung vom Richter und von ..." der Titel nicht vollständig erhalten. Es folgt "die Erzählung von der Religion und vom Weltmeer", worin die Vorzüge der manichäischen Religion gegenüber den vorangegangenen Religionen dargelegt werden. Ein ausführliches Epimythion deutet die Parabel aus.
Die dritte Parabel ist "die Erzählung von Trageschwer und Trageleicht", die sehr anschaulich darstellt, wie der manichäische Gläubige zur Erlösung gelangen kann.
Die Fundortvermerke auf den einzelnen Fragmenten weisen auf die 2. und die 3. Expedition und auf die Fundorte Dakianusšahr=Qočo und Toyoq. Da aber die meisten chinesisch-soghdischen Rollenfragmente aus Toyoq stammen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, daß diese Angabe eher zutrifft. Die Fehlerhaftigkeit der Sprache der Erzählungen läßt uns die Rolle als relativ spät geschrieben in das 11. Jh. n. Chr. einordnen.
Die Buchrolle hat schon kurz nach ihrer Entdeckung das Interesse der Gelehrten gefunden. Erste Ergebnisse blieben aber auch aufgrund der sprachlichen Schwierigkeiten unveröffentlicht. 1985 publizierte Werner Sundermann den Hauptteil der Rolle. Yutaka Yoshida identifizierte die weiteren Bruchstücke. Der Text wurde zum Vorlesen bearbeitet von Christiane Reck.
Quellen:
Sundermann, Werner: Ein manichäisch-soghdisches Parabelbuch mit einem Anhang von Friedmar Geissler über Erzählmotive in der Geschichte von den zwei Schlangen, Berlin 1985 (Berliner Turfantexte 15)
Sundermann, Werner: Completion and correction of archaeological work by philological means: the case of the Turfan texts, in: Histoire et cultes de l'Asie Centrale préislamique, ed. P. Bernard & F. Grenet, Paris 1991, S. 287-288
Sundermann, Werner: Eine buddhistische Allegorie in manichäischer Überlieferung, in: Corolla Iranica. Papers in honour of Prof. Dr. David Neil MacKenzie, ed. R.E. Emmerick & D. Weber, Frankfurt 1991, S. 198-206
Yoshida, Yutaka: Rez. zu D. Weber, Iranian Manichaean Turfan Texts in Publications Since 1934. Photo Edition, in: Bulletin of the Asia Institute, N.S. 13 (1999), S. 195
Yoshida, Yutaka: First Fruits of Ryūkoku-Berlin Joint Project on the Turfan Iranian Manuscripts, in: Acta Asiatica. Bulletin of the Institute of Eastern Culture 78 (2000), S. 71-85
Hier beginnt die Erzählung von Trageschwer und Trageleicht und so wurde es vernommen:
Es waren einst zwei Schlangen. Die eine hieß Trageschwer und die andere Trageleicht. Ihre Körper waren gleich groß und ihre Schwänze sehr lang. Beide hatten einander so lieb, daß die eine nicht die Trennung von der zweiten ertrug. So gingen sie miteinander des Wegs.
Nach einer langen Strecke, da ging die eine Schlange in ein Tal. Die zweite Schlange aber zog weiter. Der Weg der ersten Schlange hatte auf der einen Seite einen sehr hohen Berg und auf der anderen ein sehr tiefes Wasser. Auf dem Weg war von einem Fallensteller eine Fallgrube gemacht worden. Sie war innen voller Kohlen, und lauter feurige Lufterscheinungen stiegen darin auf. Der Fallensteller hatte sich versteckt.
Als die Schlange dorthin gelangte, da freute sie sich sehr und staunte über die feurigen Lufterscheinungen. Doch es war nötig, über die Fallgrube zu springen, denn - o weh! - gerade diesen Weg mußte sie gehen, und nirgendwo gab es eine Möglichkeit zur Umkehr. Und siehe da, sie hielt inne und schoß sich selbst vorwärts. Dabei dachte sie so: "Mit dem ganzen Leib will ich über die Fallgrube springen." Aber weil die Fallgrube sehr weit und breit war, aber der Körper der Schlange groß und ihre Leibesmitte sehr dünn und der Schwanz ganz lang, war die Fallgrube für sie unüberspringbar, denn der Kopf gelangte hinüber, und der Schwanz blieb auf der anderen Seite. Und ihres Leibes Mitte haftete quer über der Fallgrube und sie vermochte nicht, den Leib zur Seite des Halses hin zu ziehen. So verbrannte sie dort und starb.
Der Fallensteller kam schnell zu ihr und griff in die Fallgrube. Er freute sich und war sehr froh. Den Kopf der Schlange schnitt er fein auf, entnahm den Stein und ging fort.
Der Gefährte, die zweite Schlange, kam und fand den ersten Gefährten tot, den Kopf verstümmelt, und aus ganzer Seele schrie er: "Du eben warst mir ganz furchtbar lieb." Und er weinte sehr und führte bittere Klage, jammerte erbärmlich und sprach so: "O herrlicher Bruder, wie bist du so in Schande und ohne den Bruder gestorben!" Doch als er dann aufhörte zu klagen, da dachte er bei sich: "Mein Bruder starb deswegen, weil er sich zuvor gegen den Leib kein Gegenmittel überlegt hatte. Wenn ich jetzt ebenso gegen den Leib kein Gegenmittel versuche, so muß auch ich sterben." Und er überlegte und dachte viel nach. "Solange ich die Trennung von meinem lieben Schwanz nicht zulasse, keine Verstümmelung am Leib noch Schmerz ertrage, gibt es keinen Ausweg. Aber wenn ich vom lieben Schwanz die Trennung und am Leib ein wenig Schmerz um der Seele willen ertragen werde, dann werde ich über die Fallgrube springen können." Darauf nun ging er wiederum in das Tal hinein und fand das verlassene Feuer eines Hirten vor. Und er verbrannte den Schwanz und schlug ihn draußen so weit ab, wie er dem Leib schädlich war. Und als er kleiner geworden war, kam er zur Fallgrube. Er verharrte sehr lange Zeit. Der schwanzlose Körper sprang sehr leicht, und er kam heil hinüber.
Von diesen zwei Schlangen ist die eine der den Körper liebende Mensch, dem das Tragen von ... schwer und der durch Gleichgültigkeit dick ist. Und seine Seelenfessel ist lang. Die zweite Schlange ist jener Mensch, dem die Seele lieber ist. Sein Gift ist sehr wenig, die Weltlichkeit äußerst gering und die Seelenfessel ist sehr kurz. Die Fallgrube, der hohe Berg und das tiefe Wasser sind die drei Gräben. Der Fallensteller ist Ahriman, der Teufel, und der Stein ist die Seele. Der Alte Mensch wird am Ende ohne gute Werke mit dem Schwanz des Leibes zu einem, der die drei Gräben nicht überspringen kann. Aber der erwählte Neue Mensch hat die drei Gifte aus dem Leibe ausgefegt und des Gesetzes Pein am Leib erduldet, aber vom geliebten Weib und von Kindern und vom Reichtum wird er kein Leid erdulden, und am letzten Tage wird die Seele aus dem Leibe emporspringen und zur Ruhe des Paradieses gelangen.
M 6, ein manichäischer Hymnus in parthischer Sprache
M 6 ’Klagelied über den Tod des Mar Zaku’, ein manichäischer Hymnus in parthischer Sprache zum Gedenken an den Kirchenmann Mar Zaku, der wahrscheinlich ein Begleiter des Religionsstifters Mani (216-277) war. Der Text wurde 1934 von Henning in F.C. Andreas, W. Henning, ’Mitteliranische Manichaica aus Chinesisch-Turkestan III’, Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1934, 846-912, dort 865-867 (Text e, Zeilen 1-111) veröffentlicht. Henning schreibt dort S. 20 Anm.3: ’Der Hymnus mit seiner reichen Bildersprache zählt zu den besten Erzeugnissen der parthisch-manichäischen Dichtung.’ Der Hymnus ist alphabetisch, d.h. jede Strophe fängt mit einem Wort an, dessen erster Buchstabe in der Reihenfolge des Alphabets gewählt wird. Dieser Text setzt dies besonders kunstvoll um: Die Strophen von 1 bis 14 fangen gleich mit einer anredenden hier mit ’O’ wiedergegebenen Silbe an; erst das zweite Wort ist alphabetisch geordnet. Die Strophe 15 (n) fängt mit der Negation nē ’nicht’ an, die dadurch eine ganz besondere Nuance erhält, und ab dort ist es tatsächlich das erste Wort der Strophe, das die alphabetische Reihenfolge aufweist. Am Ende des Alphabets wird eine zusätzliche n-Strophe gesetzt. Der Buchstabe x kommt zweimal vor, weil er den Buchstaben h in Strophe 5 und den Buchstaben k in Strophe 12 gleichermaßen repräsentieren kann. Die Überschrift in der Kopfzeile des Handschriftblatts M 6, ’Parinirvāṇa’ verwendet ein indisches Lehnwort, um auf den erlösenden Charakter des Todes hinzuweisen, und bezieht sich darauf, dass das Blatt mehrere Hymnen enthält.
Obwohl es den Manichäern untersagt war, einem Toten nachzutrauern, hat dieser Text die Merkmale eines Klagelieds. Die Übersetzung stammt von Henning mit einigen Ergänzungen durch H.-J. Klimkeit, Hymnen und Gebete der Religion des Lichts, Opladen 1989 (Abhandlungen der Rheinisch-westfälischen Akademie der Wissenschaften Bd. 79); 129-130. Die erste Strophe ist beschädigt.
Parinirvāṇa-Hymnen
1. (’) O großer Lehrer, Mar Zaku, ... .... Hirte.
2. (b) O große Lampe, welche rasch erlosch:
schwarz wurde es uns vor Augen, schwach und matt(?).
3. (g) O kampflustiger Held, der (sein) Heer verließ:
Schrecken ergriff die Kriegerschar und der Heerzug wurde verwirrt.
4. (d) O großer Baum, dessen hoher Wuchs zerschmettert wurde:
Verwirrung erfaßte die Vögel, deren Nest zerstört wurde.
5. (x) O große Sonne, die von der Welt sich abgewandt:
dunkel ward es unserm Auge, denn das Licht ist verhüllt.
6. (w) O eifriger Karawanenführer, der (seine) Karawane verließ
in Wüsten, Öden, Bergen und Schluchten.
7. (z) O Herz und Seele, die von uns geschwunden:
wir bedürfen Deines Geschicks, Verstandes und Glanzes.
8. (j) O lebendiges Meer, das vertrocknet ist:
zurückgedämmt ist der Flüsse Lauf, sie fließen nicht mehr.
9. (h) O grünender Berg, auf dem Schafe weiden:
die Milch für die Lämmer versiegte, kläglich blöken die Schafe.
10. (t) O mächtiger Vater, den viele Söhne beklagen,
all die Kinder, die Waisen geworden sind.
11. (y) O mühereicher Herr, der Dürftigkeit erduldete;
er hielt das Gotteshaus in allen Dingen in Ordnung.
12. (x) O große Quelle, deren Ursprung verstopft ist:
die schöne Erfrischung ist (damit) unserem Munde verwehrt.
13. (l) O strahlende Lampe, deren heller Glanz
zu einer anderen Welt hinleuchtet: uns überkam die Dunkelheit.
14. (m) O Mar Zaku, Hirte, glückseliger Lehrer,
Unsere Kraft ist jetzt(?) von Dir getrennt.
15. (n) Nicht mehr werden wir Dir in Deine leuchtenden Augen sehen
und nicht mehr werden wir Dein süßes Wort hören.
16. (s) Gott Srōšāv schönen Namens, strahlender Herr,
Du hast keinen Gleichen unter allen Göttern.
17. (’) Wir sind bedrückt, wir seufzen und weinen kläglich,
wir wollen stets Deiner Liebe gedenken.
18. (p) Du warst der Throninhaber in allen Ländern,
die Könige und die Großen verehrten Dich.
19. (c) Schön und freundlich war Dein Wesen,
mild Deine Rede, die sich nie bitterem Zorn überließ.
20. (q) Großer starker Riese, der Du geduldig (warst),
Du erduldetest einen jeden, Du warst berühmt.
21. (r) Gerechter, leidloser, barmherziger,
gabenreicher, freigebiger, mitleidiger, gütiger Vater.
22. (š) Der die Bedrängten fröhlich macht, der zahllose Seelen
aus der Not erlöste und zur Heimatstatt führte.
23. (t) Starker, Wackerer, Mächtiger, der, wie alle Apostel,
Buddhas und Gottheiten, einen Thron erlangt hat.
24. (n) Dir zuerst will ich Verehrung bringen, ich, der geringste Sohn,
der ich als Waise und Heimatloser von Dir, Vater, zurückgelassen bin.
Auszug aus einem Höllenkapitel der alttürkischen Maitrisimit (Zentralasien, ca. 9./10. Jh.)
Der uigurische Text Maitrisimit gehört zu den bedeutendsten Zeugnissen der Literatur des alten Zentralasien, zum einen wegen seines gewaltigen Umfangs, zum anderen weil ein indisches Original dieses Werkes nicht überliefert ist. Als unmittelbare Vorlage für die uigurische Fassung konnte diejenige in Tocharisch A, einer ehemals in Zentralasien beheimateten buddhistischen Literatursprache, nachgewiesen werden. Wortlaut und gattungsgeschichtlicher Charakter des tocharischen Textes weichen z. T. erheblich von der uigurischen Übertragung ab. Der Titel Maitrisimit geht auf altindisch Maitreyasamiti "Das Zusammentreffen mit Maitreya" zurück und deutet schon auf den Inhalt hin, denn es handelt sich um eine Art visionärer Biographie des zukünftigen Buddha Maitreya, in welcher seine Herkunft, sein spiritueller Werdegang, seine Erleuchtung etc. beschrieben werden. Der Maitreya-Kult gehörte zu den prägenden Faktoren buddhistischer Frömmigkeit im vorislamischen Zentralasien. Die Gläubigen hofften durch korrekte Lebensführung in der Zukunft mit Maitreya zusammenzutreffen, um Zeuge seines Wirkens zu sein.
Die Maitrisimit war ursprünglich in 27 Kapitel eingeteilt, von denen einige aber nur in geringen Resten erhalten sind. In der Berliner Turfansammlung werden zwei große Handschriften aufbewahrt, die an zwei verschiedenen Fundorten der Turfan-Oase geborgen wurden.
Jetzt muß man diese Dharma-Angelegenheit (so) verstehen, daß sie auf dem Hühnerfuß-Berg in der Samantavṛkṣa-Ebene (stattfindet). Es setzt sich der vollkommen weise Buddha Maitreya auf einen hohen Thron und geruht, goldene Strahlen auszusenden, um die hartherzigen, harschen und groben Lebewesen zu besänftigen. Sobald sie von diesen Strahlen berührt werden, erbeben die unzähligen dreitausend Chiliokosmen sechsmal wie Schiffe auf dem Wasser. Wegen des Bebens der Erde versammeln sich freudig wie die Götter im Trayastriṃṣa-Götterland unzählige Götter und Menschen, oben am Himmel und unten auf der Erde, Frauen und Männer und (hochstehende) Herren und Damen, beim Kukkuṭapāda-Berg, beim Buddha Maitreya. Sobald sich die Gemeinde versammelt hat, hört man plötzlich in allen vier Himmelsrichtungen den Ton lauter Geräusche und Klänge. Wie zu der Zeit, wenn ein Weltzeitalter zu Ende geht, erscheinen riesige Flammen. Sobald die versammelten Lebewesen dies sehen, erschrecken sie sehr, blicken auf das Antlitz des vollkommen weisen Buddha Maitreya und sprechen: ’Was ist denn das, unser Gott? In den vier Himmelsrichtungen hört man Stimmen des Jammerns und Klagens, und es erscheinen furchtbare Flammen. Schaut man genau auf diese Flammen, (sieht man), daß dort elende Lebewesen brennen, von denen sich einige gegenseitig mit Messern und Schwertern schneiden. Vom Himmel regnet ein Glutregen, schwarzer Rauch brodelt und es herrscht infernalischer Gestank. Ihr, unser Gott, seid es, der die Furcht aller von Angst und Schrecken befallenen Wesen beseitigen könnt. Seid auch für uns Hoffnung und Zuflucht!" Daraufhin geruht der vollkommen weise Buddha Maitreya mit Brahma-Stimme zu sprechen: "Ihr sollt euch nicht mehr fürchten! Diese Dinge, (die gleich zu sehen sein werden), werdet ihr zwar mit dem Auge sehen, aber an eurem Körper werdet ihr kein Leid erdulden müssen!"
[Es erscheinen mehrere Arten von Höllenwesen, die von ihrem Leid und von ihren Sünden in den vergangenen Existenzen berichten.]
Einige sagen folgendes: "Als wir früher Menschen waren, waren wir Magier, Zauberer und Zeichendeuter. Wegen Ehre und Gewinn sprachen wir nichtige und verlogene Worte. Wir behaupteten, daß Nichtseiendes vorhanden und Seiendes nicht vorhanden sei. Wir sagten, daß wir Dinge gesehen hätten, die wir aber weder gesehen noch gehört hatten. Kraft dieser schlechten Tat wurden wir in den Großhöllen wiedergeboren. Von dort befreit, sind wir in dieser Kleinhölle wiedergeboren worden. Hier wiedergeboren, umhüllt unser flammendes Haupthaar unseren ganzen Körper. Die Höllenschergen blenden unsere Augen und schneiden unsere Zungen ab. Vögel fliegen herbei und mit ihren scharfen eisernen Krallen reißen sie unser Fleisch in Stücke und tragen es fort. Sie zerstückeln und fressen unsere Innereien. Wir können jedoch nicht sterben, unsere Schuld ist noch nicht getilgt." Einige Höllenwesen sagen: "Wir waren früher als Menschen Frauen und haben, um den Embryo in unserem Leib abzutreiben, unseren Bauch gequetscht. Wir haben mitten auf den Leib geschlagen, sind von erhöhten Plätzen hinunter gesprungen und haben mutwillig abtreibende Speisen und Getränke zu uns genommen. Wir nahmen Kräuter ein in der Absicht: ’Der Embryo soll abgehen!’ Um den Embryo anderer Frauen abzutreiben, haben wir deren Bäuche gepreßt und so den noch nicht entwickelten Embryo im Mutterleib getötet. Einige von uns haben auch das neugeborene Baby getötet. Kraft dieser schlechten Tat sind wir dann gestorben und (dann) in der Großhölle wiedergeboren worden. Aus dieser Großhölle befreit, wurden wir in diesen Kleinhöllen wiedergeboren. Die Höllenschergen zerquetschen uns mit großen Felsen und zerstoßen uns mit Mörsern. Mit einem Holzpfahl stechen sie unsere Augen aus. Sie höhlen unsere Augäpfel aus und lassen uns eine Frühgeburt gebären. Während wir dann unser Neugeborenes im Arm halten, fressen wir es auf. Wir brennen im Feuer des Hungers, des Durstes, der Sorge und des Leids."
"Die Anbetung der heiligen Drei Könige"
Rezitation des Textes: "Die Anbetung der heiligen Drei Könige" durch Schauspielstudenten der UdK
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Alttürkisches Fragment T II B 29 (jetzt: * U 9175), die Anbetung Jesu durch die drei Magier, zuerst veröffentlicht von F.W.K. Müller in "Uigurica [ I ]" in den Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1908, Nr.2.
Das Original ist seit dem Ende des 2. Weltkrieges verschollen. Der Inhalt deckt sich partiell mit der wohlbekannten Erzählung im Neuen Testament, Matthäus 2. Die Abweichungen jedoch sind in der christlichen Überlieferung selbst nicht nachzuweisen, zum Teil aber in der berühmten Reisebeschreibung des Marco Polo.
"... Hingehen und anbeten wollen wir seine große Majestät!" So sprachen (die drei Magier).
Zu der Zeit befahl König Herodes ihnen: "Nun, meine geliebten Söhne, wohl geht hin, gebt euch recht Mühe, suchet und forschet! Sofern ihr ihn findet, so kehret um, kommt und lasset es hören, denn auch ich will hingehen und anbeten will ich ihn." So sprach er.
Sobald die Magier von Jerusalem aufbrachen, wanderte jener Stern auch mit ihnen. Als die Magier Bethlehem erreicht hatten, blieb der Stern ohne sich zu bewegen still stehen. Alsbald dort fanden sie Messias, den Gott. Da näherten sie sich zitternd und traten ein. Ihre Lasten öffneten sie und boten ihre Geschenke dar, das, was sie mit sich führten, drei Arten Kostbarkeiten: Gold, Myrrhe und Weihrauch auch! Anbetung vollzogen sie, Preis und Segen brachten sie dar dem Herrscher, dem Messias, dem Gott. Die Magier traten mit solchen Gedanken ein: ‘Wenn es Gottes Sohn ist, wird er Myrrhe und Weihrauch nehmen, wenn er ein König ist, wird er das Gold nehmen. Wenn er ein Arzt und Heiland ist, wird er das Heilmittel nehmen.’ So legten sie alles auf einen Teller und brachten es hinein.
Des ewigen Gottes Sohn, der König Messias geruhte der Magier im Herzen gehegte Gedanken zu erkennen und geruhte alle drei Arten Kostbarkeiten zu nehmen. Also sprach er zu ihnen: "O ihr Magier! Mit dreierlei Gedanken seid ihr hereingekommen. Gottes Sohn bin ich, ein Herrscher auch bin ich, und ein Arzt und Heiland auch bin ich." So geruhte er zu sprechen. Und er geruhte zu sprechen: "Seid ohne Zweifel und geht!" Jenen Magiern brach er von der Ecke der steinernen Wiege einen Brocken Stein ab, als ob er Brot bräche, und gab ihn ihnen. Als darauf die Magier den Stein nahmen, vermochten sie ihn nicht aufzuheben. Und als sie ihn dem Pferde aufluden, da konnte auch das Pferd ihn nicht tragen. Daher hielten sie Rat ab: "Dieser Stein ist äußerst schwer, dieser eine Brocken von Stein, was soll er uns? Da auch das Pferd ihn nicht tragen kann, werden wir nicht imstande sein, ihn fortzuschaffen." So besprachen sie sich. Als daselbst sich ein Brunnen zeigte, hoben sie den Stein auf und in des Brunnens Innere warfen sie ihn. So gingen sie und als sie zurückblickten (da sahen sie): Aus des Brunnens Innerem stieg ein schrecklich großer Glanz mit Feuersblitzen herauf und reichte bis zum blauen Äther. Als sie darauf dieses wunderbare Zeichen sahen, verstanden und erkannten die Magier, gerieten in Furcht, fielen auf das Haupt und vollzogen Anbetung. Darauf sprachen sie: "Uns hatte er ein verehrungs- und anbetungswürdiges Kleinod gegeben, wir (aber) waren dem Verehrungswürdigen unwürdig. Weil wir es nicht erkannten, warfen wir es in einen Brunnen." Und sie bereuten. Aus diesem Grunde verehren bis zum heutigen Tage die Magier das Feuer, der Grund dafür ist dieser.
Zu der Zeit sichtbar wurde ihnen der göttliche Engel, leitete sie und von dort, auf einem anderen Wege ließ er wandeln die Magier, den König Herodes trafen sie nicht.
Ferner auch wollen wir schreiben, wie Zacharias, der Großpriester, den Tod erlitt durch des üblen König Herodes’ Hand. Da sah König Herodes, die Magier waren umgekehrt und auf einem andern Wege gegangen, mich haben sie verhöhnt, diese Magier! Und so wurde er sehr zornig. Da befahl er seinen Würgern, Mördern und Schergen: "Geht! Was es in meinem Reich an Jungen und Mädchen unter zwei Jahren gibt, sie alle tötet!"
Da erschien ein Engel in Josephs Traum und erteilte folgenden Befehl.